Marcus, du arbeitest heute
als Fotograf vorwiegend in den Bereichen People, Fashion und Erotik. Gib uns doch mal einen kurzen
Abriss deines Werdegangs. Wie kam
es dazu?
Nachdem ich in meiner Sturm-und-Drang-Zeit so ziemlich alles
fotografierte, was sich meiner Linse bot, verlagerte sich
mein Fokus immer mehr auf Menschen. Ich bin ja ein Kind
der 80er, also der Punk- und Wave-Ära, und somit mit den
dazugehörigen Subkulturen der damaligen Zeit aufgewachsen.
Diese Zeit war die mit facettenreichste überhaupt. So viele
Strömungen unterschiedlichster Musikrichtungen und Typen gab
es weder zuvor noch danach wieder. Heute sehe ich leider nur
noch Kopien oder Mixturen der damaligen Zeit, die dabei
sogar noch von sich glauben, super hip zu sein. Anyway,
alles hat seine Zeit, man muss sie nur erkennen und nutzen.
Geprägt durch das damalige Lebensgefühl und die dazugehörige
Musik hat sich in meinem Innern mein Blick auf Menschen
entwickelt, der sich vermutlich in meinen heutigen Portraits
widerspiegelt. Aber ich war niemals ein Dogmatiker. Im
Gegenteil, ich entdeckte in den unterschiedlichsten Facetten
der Menschen etwas, dass mich interessierte. Selbst, wenn
ich gerade dabei war, eine Punk- oder Rockband zu
fotografieren, entging mir nicht die Frau, die in ihrem
knielangen Kostüm und ihren super High-Heels die Straße
entlangflanierte. Deshalb ist es für mich auch kein
Widerspruch, wenn ich mir eine alte Sex-Pistols-Scheibe
auflege und mich dabei in meine Corbusier-Liege lege.
Wenn ich anfangs sagte, mein Fokus hat sich irgendwann
angefangen zu verlagern, dann meine ich damit, dass ich
begann neu zu sehen. Im Unterbewusstsein filterte ich das
Besondere für meine Kamera heraus. Und nach und nach
entstanden so meine Themenschwerpunkte. Was ich
fotografiere, muss mich irgendwie kicken. Wie soll man ein
gutes Foto entstehen lassen, wenn einem die Basis nichts
vermittelt - kein besonderes Feeling, keine Anziehungskraft
da ist. Technisch würde es natürlich gehen, aber das Foto
verströmte keine wahren Emotionen. Und leblose Fotos gibt es
ja leider unzählige. Dann mache ich lieber keines.
Du sagst, dein
Unterbewusstsein sucht sich das Besondere für deine Kamera.
Was ist es, was dich an Menschen fasziniert?
Ich weiß
nicht, ob Faszination in diesem Kontext das richtige Wort
ist. Vielmehr ist es der Umstand, dass der Mensch
anscheinend so unfassbar in seiner Komplexität ist, dass es
mir irgendwann begann, Freude zu bereiten, nach und nach
ein paar Facetten der jeweiligen Person ans Tageslicht
zu befördern, die dem normalen Betrachter verborgen
bleiben, vielleicht sogar dem Portraitierten selbst. Mit
meiner Kamera begann ich die zu fotografierende Person
regelrecht zu studieren, zu entdecken, ihr Geheimnisse zu
entlocken, und diese dann in meinen Fotos zu manifestieren.
Bei genauem Beobachten wird man dann feststellen, dass, auch
wenn man ein und dieselbe Person mehrmals fotografiert, sich
immer wieder neue Facetten herauskristallisieren. Sei es in
einem Portrait, einem Mode- oder Erotikfoto. Vorausgesetzt,
man ist in seiner eigenen Sichtweise flexibel genug, um das
vermeintlich Neue auch zu sehen, beziehungsweise sehen zu
wollen. Aber egal, wie viele Bilder man von einer Person
erstellt, ganz erfassen wird man ihn nie. Denn ein Mensch,
ist ein Mensch, ist ein Mensch.
Du hast aktuell einen
Kalender rausgebracht, „Calendar of Tattooed &
Naked Ladies 2012“. Tattoos & Erotik – beides zieht sich
wie ein roter Faden durch deine Arbeit. Sicher darf man dich
als feste Größe in der Tattoo-Welt bezeichnen. Was macht
dein Faible für diese Szene aus?
Ob ich eine feste Größe in der sogenannten Tattoo-Welt bin,
können eher andere beurteilen, oder auch du. Sicher, da ich
schon über 10 Jahre für verschiedene Tattoo-Magazine arbeite,
kennt man mich hier und dort schon. Wahrscheinlich kennen
die meisten aber eher meine Arbeiten als mich als Person.
Zumindest wäre es mir so lieber. Auch trotz meiner großen
Affinität für Tattoo-Kunst, habe ich eigentlich kein
besonderes Faible für diese Szene, sondern halte mich zum
größten Teil aus dem gesellschaftlichen Miteinander heraus.
Ich meide sogar so ziemlich jede Aftershowparty, obwohl
diese meist sehr unterhaltsam sind. Ich bin lieber der
aufmerksame Beobachter in Sachen Tattoo-Kunst, aber nicht in
Sachen Klatsch und Tratsch. Dies ist aber auch eher eine
generelle Haltung meinerseits. Tätowierte Leute haben ebenso
ihre Eigenheiten wie Nicht-Tätowierte. Sie sind weder besser
noch schlechter. Einfach nur bunter. In diese Welt
eingetaucht bin ich vor vielen Jahren durch meine
Tätowiererin und gute Freundin Sabine Gaffron. Ich schlug
ihr damals vor, ihre Präsentationsmappe komplett neu zu
gestalten. Fortan bereisten wir gemeinsam Conventions in
ganz Europa, und ich machte dort Fotos ihrer Arbeiten. Nach
und nach schärfte sich mein Blick für gute Tattoos merklich,
und ich wurde im Laufe der Jahre immer sprachloser
angesichts so erstklassiger Werke aus einer so rustikalen
kleinen Tattoo-Maschine. Heute kann ich mit Gewissheit
sagen, dass perfekt gestochene Portraits inzwischen
realistischer wirken, als viele der heutigen Fotos.
Überhaupt glaube ich inzwischen, dass die künstlerische
Entwicklung in der Tattoo-Szene gravierender
vorangeschritten ist, als in der Fotowelt. Und es ist schon
faszinierend zu sehen, wie sich eine Rückentätowierung und
ein Wandgemälde bis ins kleinste Detail ähneln, und man sich
fragt, welches von beiden Werken zuerst da war.
Ob Martin Kesici oder
Autoerotik - deine Aufnahmen sind äußerst gelungen,
bestechen durch Magie und Reiz. Die Fassade des Unnahbaren
wie beherrschter Coolness vermischt sich mit ausgeprägter
Intimität, Sinnlichkeit - und Sex. Wie darf man sich ein
Shooting mit dir vorstellen? Gibt es ein Script - wer legt
Location und Posing fest?
In der Regel lege ich alles fest. Schließlich muss ich ja
auch für das Foto geradestehen. Bin aber auch kein
Fotodiktator. Wenn mir meine Stylistin oder Visagistin etwas
anderes rät zu tun, denke ich gern darüber nach und mache
mir im Kopf auch ein Bild davon. Es kann also durchaus sein,
dass ich mein Konzept dann daraufhin modifiziere. Aber wie
gesagt, bei freien Arbeiten entscheide ich über die passende
Location und den Style des Models. Bei Modeaufnahmen
hingegen geschieht das natürlich immer in sehr enger
Absprache mit der Designerin oder dem Designer. Das versteht
sich aber von selbst, oder? Das passende Model finde ich
auch in der Regel selbst. Wie ich eingangs schon sagte,
etwas muss mich kicken, sonst geht nichts. Dann beginnt sich
in meinem Kopf etwas zu entwickeln. Das geschieht
meist unterbewusst. Ich denke, je mehr Inputs man im Laufe
seines Lebens in sich aufgenommen hat, um so mehr Bildideen
ergeben sich. Vielleicht so automatisch. Ich kann mir zum
Beispiel wunderbar beim Radfahren mein Fotoset
visualisieren. Wenn ich 3-4 Stunden durch und um Berlin
radle, kann ich bestens abschalten und mich auf meine neue
Fotoidee einlassen. Da spiele ich dann verschiedene Szenen
durch und bringe sie zu Hause schnellstens zu Papier, um sie
nicht zu vergessen. Meine Ideen sind dabei sehr stark vom
Model abhängig. Ich mag es nicht, jemanden mein Konzept
überzustülpen. Das wirkt immer nur gestellt. Vielmehr
versuche ich das Model vorher zu ergründen, um sicher zu
sein, dass es sich mit meiner Idee auch identifizieren kann.
Nur so bekomme ich die Resultate an Motiven, die ich mir
zuvor gedanklich konstruiert habe. Ohne die gute Mitarbeit
des Models kann ein Fotograf auch keine guten Bilder
inszenieren. Ist immer Teamwork. Und dazu gehören auch das
Styling und passende Make-Up.
"Calendar of Tattooed &
Naked Ladies" - eine kleine Auswahl aus deiner Arbeit über
die Jahre hinweg? Ein thematischer Querschnitt?
Ich denke eher, es ist ein kleiner Querschnitt, eine Melange
aus etwas älteren und ganz aktuellen Aufnahmen. Die
endgültige Auswahl oblag dann allerdings dem Herausgeber.
Dieser wollte den Kalender möglichst breit gefächert
anlegen, also keine strikte Gradlinigkeit, sondern etwas von
cool bis verspielt, und das dann der jeweiligen Jahreszeit
angepasst.
Auf jeden Fall ein
sehr reizvoller, ästhetischer Kalender mit supererotischen Aufnahmen. Ein
abschließendes Wort?
Vielen Dank für das Kompliment und das nette Gespräch.